10 Jahre Servus Hockey Night – Helden im Hintergrund: Der Strafbank-Redakteur

15. Apr.
Josef Wisberger
In unserer Serie „Unsung Heroes“ stellen wir euch jene Personen vor, die am Erfolg der Servus Hockey Night maßgeblich beteiligt waren.

Text: Martin Pfanner

Jedes Ende bringt Wehmut und auch Tränen mit sich. Am 10. März ist die Servus Hockey Night unrühmlich und abrupt zu Ende gegangen. Dabei galt es noch so viele verdiente Mitarbeiter hervorzuheben. Das tun wir nun über die nächsten Wochen an dieser Stelle. Heute Teil 6: Der Strafbank-Redakteur.

Sommer 2010. Binnen weniger Wochen muss ein kleines Team ein neues Format aus der Taufe heben. Die Zielsetzung: Eishockey in Österreich in Form und Umfang auf ein völlig neues Niveau zu heben.

Der "big ticket"-Free Agent

Dazu bedurfte es nicht nur interner Expertisen, sondern auch externem Know-how. Einer der für mich letztlich wichtigsten Bausteine - in vielerlei Hinsicht - war ein Mann, den die meisten arrivierten Liga-Spieler kennen und immer nett begrüßen.

Einer, der für die meisten Referees bei TV-Spielen Anlaufstelle Nummer 1 ist. Ein Typ, der in Insiderkreisen zu Recht verehrt wird. Die Servus Hockey Night hatte Anfang August 2010 ihren "big ticket"-Free Agent.

Auftritt: Josef "Joschi" Wisberger

Optisch eine Mischung aus dem Weihnachtsmann und Mario Adorf. Fachlich eine Mischung aus Wikipedia und den gesammelten österreichischen Eishockey-Statistiken. Menschlich eine Mischung aus ruhiger, analytischer Annäherung und hin und wieder notwendiger Vehemenz.

Ein gebürtiger Niederösterreicher prägte die Geschicke und die Geschichtsschreibung der Servus Hockey Night wie wenig Andere. Ihn als reinen "Strafbank-Redakteur" zu bezeichnen wäre auch pure Blasphemie.

Joschi ist und war viel mehr: Zahlenmonster, Erklärbär, Chronist, Einordner, graue Eminenz. Ihn und seine Gesamtheit und Bedeutung zu beschreiben würde den Rahmen einer geordneten Kolumne sehr schnell sprengen. Im Nachfolgenden dennoch ein Versuch.

My home is my Strafbank

Joschi wirkt und werkt während eines Live-Spiels immer auf der Strafbank. Genau genommen zwischen den Penalty-Boxen, aber ob der örtlichen Proximität hat sich der Terminus Technicus "Strafbank-Redakteur" bewährt.

Dorthin also baut ihm seit jeher die Ü-Wagen-Crew einen Monitor und eine Sprechverbindung. Am Monitor verfolgt er die TV-Übertragung, mit der Sprechstelle steht er sowohl mit Regisseur als auch den Kommentatoren im Austausch.

Joschi hält den Informationsfluss aufrecht: jede Referee-Entscheidung wird ihm via dem/der Zeitnehmer mitgeteilt. Joschi trägt diese an Ü-Wagen und Kommentatoren weiter.

So auch etwaige Berichtigungen. Bei einem Videobeweis dürfen Schiedsrichter seit vielen Jahren bei einer Live-Übertragung auch die TV-Bilder sondieren. Joschi ist deren Sprachrohr in Richtung Ü-Wagen.

Während einer Drittelpause ist es nicht ungewöhnlich, von "unten" bzw. von ihm mit weiteren Infos gefüttert zu werden.

"Das letzte Mal, als der KAC bis Minute 13 drei Tore erzielt hat, war übrigens an diesem Tag"
"Wenn dieser Spieler noch ein Tor macht, dann wäre das sein sechster Doppelpack für Graz und damit wäre er in der ewigen Bestenliste des Teams ex aequo auf Platz 3."
"Wien hat erst einmal in den Playoffs einen Rückstand von vier Toren egalisiert, das war am Soundsovielten."

Weil's im US-Sport angesichts einer der vielen tausenden Statistiken, die dort für Sendungen vorbereitet werden, oft heißt: "who the hell looks this stuff up?". Im hiesigen Hockey ist die Antwort ganz einfach: Josef Wisberger.

Die ultimative Adelung

Genau genommen gab es vor Wisberger den Job des Strafbank-Redakteurs so nicht. Er hat die Aufgabe quasi erfunden. Als Zeichen der Einzigartigkeit und der Novität des Ganzen erfuhr ihm am Ü-Wagen auch die ultimative Adelung.

Das Sprechpanel mit dem alle On- und Off-Air-Positionen angesprochen werden können, wird gemeinhin mit unpersönlichen Etikettierungen belegt.

Die "Mod"-Taste führt ins Ohr des jeweiligen Moderators. Die "Komm"-Taste lässt einen mit dem Kommentator sprechen. Die einzige Taste, die immer mit Vornamen belegt war? Die "Joschi"-Taste. Sie führte direkt zu Josef Wisberger.

Statistik als Steckenpferd

Dabei wäre es auch zu kurz gegriffen, Wisberger auf seinen Strafbank-Job oder seine Zahlenaffinität zu reduzieren. Es ist die Gesamtheit an oben bereits erwähnten Begriffen, die ihn zu dem macht, was er ist.

Joschi ist in erster Linie Sportfan. Fan von österreichischem Sport und österreichischen Athleten. Während einer Sendungsvorbesprechung läuft auf seinem Laptop häufig ein Spiel der heimischen Fußball-Bundesliga oder ein entscheidender Lauf eines Slalom-Bewerbs.

Zu diesem Zeitpunkt hatte er das Gros seiner Arbeit nämlich schon erledigt. Bis zur Saison 2015/16 lieferte Wisberger zu jeder Servus Hockey Night seitenweise statische Inputs.

Das Arbeitstier Joschi offenbarte sich da schon oft im Zeitpunkt des Email-Aussands. „00:03“, „02:31“ oder „3:48“ waren keine ungewöhnlichen Zeitpunkte für im Posteingang eintreffendes Zahlen- Daten- & Faktenmaterial.

Ich habe für diesen Artikel auch tief in meinem Posteingang gewühlt. Die erste E-Mail, die ich von Joschi empfangen durfte, datiert vom 07.08.10.

Josef "Joschi" Wisberger

Einer seiner hunderten Trainingsbesuche. Seine legendäre Art seine Beobachtungen zusammenzufassen. Mails an die Allgemeinheit, die immer mit einem „hallo,“ beginnen und einem „lgj“ enden. Durchgängig auf Großschreibung verzichtend.

Anfang August, wo nur die wenigsten mit ihrem Kopf schon wieder beim Eishockey sind, tourte Wisberger bereits unermüdlich die Eishallen ab, liefert Infos und Insights. Testspielberichte von Znojmo gegen Pilsen, Fehervar gegen Dunjavaros, egal wie viel Wert man ihnen für den weiteren Saisonverlauf zumessen wollte.

Wisberger legte bereits in noch recht verschlafenen Saisonphasen tausende Kilometer mit dem Auto zurück, um sich ein umfassendes Bild von Land, Liga und neuen Legionären zu verschaffen.

Während der Saison war und ist er an non-TV-Spieltagen oft als bloßer Zuschauer bei einem der Liga-Spiele vor Ort, nach der Saison reiste er meist dem ÖEHV-Nationalteam hinterher. Ein Eishockeyaficionado durch und durch.

Selbstlosigkeit

In einem Business, wo Eitelkeit und sich auf Leistung(en) etwas einbilden weit verbreitete Charakterzüge sind, ist Wisberger die personifizierte Antithese.

Er drängt sich nicht in den Vordergrund, er muss beim ebenso weit verbreiteten Name-Dropping nicht involviert sein. Ihm ist Selbstbeweihräucherung fremd. Vermutlich ist ihm die Existenz dieses Artikels sogar unangenehm. Im Mittelpunkt sollen immer andere (im Idealfall der Sport) stehen, nie er selbst.

Karierte und linierte Schulhefte

Joschis Fokus gilt der gelungenen Übertragung, dem Kreieren von informativen Mehrwerten, dem klugen Konnex von Zahlen und Leistungen, der Geschichtsschreibung des lokalen Eishockeysports.

Seine für mich einzigartige Selbstlosigkeit offenbart sich auch in einer anderen Hinsicht: seine über letztlich Jahrzehnte akribisch geführten, aufwendig kuratierten und immer wieder neu niedergeschriebenen Statistiken (stilsicher in karierten und wahlweise linierten Schulheften für die Nachwelt festgehalten) waren anfangs einer der Eckpfeiler der Servus Hockey Night. Denn ohne valides Datenmaterial keine Einordnung, keine Vergleichbarkeit, keine Bestwerte, keine Karriere-Bilanzen u.v.m.

Dabei war Wisberger in mehrerlei Hinsicht prägend: nach dem Liga-Crash 1999/00 muss sich das österreichische Eishockey neu erfinden. Tausende Datensätze werden dabei nicht ins digitale Zeitalter übertragen. Bis zu einer vernünftigen Liga-Statistik dauert es weitere drei Jahre. Den Zeitraum dazwischen – in dem ebenfalls Eishockey gespielt wurde – dokumentiert er mit.

Als 2010/11 die Servus Hockey Night an den Start geht und Spieler wie Thomas Koch, Gerhard Unterluggauer, Manuel Latusa, Patrick Harand und viele andere statistisch beschrieben werden sollten, passiert dies mit den Zahlen von Joschi Wisberger.

So erklärt sich auch die eine oder andere Diskrepanz mit offiziellen Liga-Zahlen und jenen der Servus Hockey Night. Denn Wisbergers Statistiken wurden Schritt für Schritt in die Datenbank von HockeyData eingearbeitet, die Joschi bereitwillig zur Verfügung gestellt hat.

Sein über Jahre fein säuberlich angehäufter Statistik-Schatz: einfach, unkompliziert und unprätentiös weitergegeben. Selbstlosigkeit wie nur wenige sie leben.

Arbeitseifer

Zwei kleine Anekdoten, die die Person Joschi Wisberger für mich so kultig machen. Sein Arbeitseifer wurde immer wieder auf die Probe gestellt. Ich habe zur Saison 2012/13 einen Eishockey-Podcast ins Leben gerufen, wo wöchentlich auch immer ein Servus Hockey Night-Experte zu Gast war.

Irgendwann kam ich auf die Idee Claus Dalpiaz die Frage zu stellen welcher Spieler gegen ihn denn die meisten Tore erzielt hat. Ich war mir ziemlich sicher, dass Claus die Antwort nicht wissen würde, wollte aber vorbereitet sein.

Anruf bei Joschi Wisberger „Du Joschi, kannst du das für mich rausfinden?“ „Klar, moch i da. Ka Problem!“ Zwei Tage später übermittelte er mir die detaillierte Auflistung der Top-5-Torschützen der Liga-Geschichte gegen Claus Dalpiaz. Who the hell looks this stuff up?

Nonchalence

2012/13 hielt ServusTV die Rechte an der deutschen Eishockey-Liga. Die Übertragung des DEL-Winter-Games im Nürnberger Fußballstadion war ein Spektakel.

Wir als Mitarbeiter der Servus Hockey Night-EBEL-Redaktion bekamen bei Interesse Sitzplatzkarten zur Verfügung gestellt, so auch Josef Wisberger. Kurz vor Spielbeginn im restlos ausverkauften Stadion trottet eine leicht gebückte Gestalt über den mit weißem Teppich ausgelegten Stadiongrund, mit Direktkurs auf die Strafbank.

Dort verfolgte Joschi dann auch durchgängig das zu jenem Zeitpunkt größte Freilufteishockey-Spiel Europas. Wie er mit seiner Sitzplatzkarte überhaupt Zugang zu den Stadionkatakomben und dem Spielfeld bekommen hat, weiß bis heute nur er selbst. Nonchalence wie sie nur wenige haben.

Ein wacher, kritischer Geist

Joschi ist darüber hinaus ein wacher, kritischer Geist. Kritisch gegenüber der Import- und Nachwuchspolitik von Liga und Vereinen, kritisch was bestimmte Vorgänge auf Manager- oder Vorstandsebene anbelangt, kritisch aber auch dem eigenen Sender oder Tun gegenüber.

So machte er nie einen Hehl daraus, was er von Konferenzschaltung im Eishockey hält („des is a Irrsinn“) mischte sich aber nie in inhaltliche Entscheidungen ein. Er hatte immer eine klare Meinung, drängte sie oder sich aber nie auf.

Der verlorene Sohn

Nach der Saison 15/16 kam es – als die Servus Hockey Night im Umbruch war – zu seinem stillen Abgang. Der neue alte Arbeitgeber war SKY, wo Joschi in altbewährter Manier seines Amtes waltete.

Erst seine Pensionierung und ein paar glückliche Fügungen brachten ihn 2018/19 als externen Mitarbeiter zur Servus Hockey Night zurück. Als geringfügig Beschäftigter zwar nicht mehr in Form und Umfang der Spielzeiten 2010/11 – 2015/16, aber mit dem für mich wohltuenden Gefühl einen „verlorenen Sohn“ wieder mit an Bord zu haben.

In diesem Sinne: Danke Joschi!

Darum: Wenn ihr das nächste Mal bei einem TV-Live-Spiel eine Person in Strafbanknähe seht, die mit Headset und Monitor ausgestattet von Kommentatoren, Experten bis hin zu Referees erste Informationsanlaufstelle ist, wenn ihr valide Zahlen zur österreichischen Eishockey-Liga verwendet, wenn ihr eine über Spieler-, Funktionärs- und TV-Kreise hinaus geschätzte Person sucht, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass es sich dabei um Josef Wisberger handelt. 

Denkt an und dankt solchen Leuten wie ihm. Immer da, immer gut, für immer „unsung hero“ der Servus Hockey Night und - in seinem konkreten Fall - des österreichischen Eishockeys.

Lest demnächst Teil 7: Die Aufnahmeleitung

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