ServusTV-Experte Alex Hofmann: „Die MotoGP-Gemeinde soll sich mit Rossi freuen“

25. März
Stefan Bradl; Alex Hofmann

Foto: (C) GEPA pictures/ Daniel Goetzhaber

ServusMotoGP: 2020 war die Saison „Erwarte das Unerwartete!" Was folgt 2021?

Alex Hofmann: Ich wüsste jetzt nicht, was dagegen spricht. Gewiss hat sich das eine oder andere Fahrerische getan. Ein paar neue Rookies, ein paar ordentliche Wechsel zwischen Bikes, Werks- und Privatfahrern. Aber am Ende des Tages hat sich nichts großartig verändert. Wir warten immer noch auf Marc Marquez. Das heißt, dass alle wissen: Wenn er noch nicht zurückkommt, sind die Chancen immer da, dass man ganz vorne mit dabei ist. Und selbst wenn er zurückkommt, wird er nicht zu 100 Prozent fit sein. Vielleicht werden die Karten neu gemischt? Vielleicht kommt dieses Jahr einer zum Zug, der letztes Jahr noch nicht drin war? Aber ich denke, dass wir sehr abwechslungsreiche Rennen sehen werden.

ServusMotoGP: Wie bewertest du die Testfahrten, und wie aussagekräftig ist der Katar-Test für den Start sowie die komplette Saison?

Ich würde die Tests komplett außen vor lassen - aus verschiedenen Gründen. Es war die schwierigste Vorbereitung aller Zeiten. Speziell für die Werke, wenn du nur fünf Tage Zeit hast, und das an der selben Rennstrecke. Effektiv waren es sogar nur vier. Dann ist das nicht allzu aussagekräftig. Also glaube ich, dass viele sich extrem in die Arbeit gestürzt haben.

Wir müssen das erste Wochenende abwarten. Da wird viel passieren, was sich fürs zweite Wochenende in Katar festigen wird. Dass Ducati am Losail Circuit funktioniert, wussten wir. Aber manche, die beim Test nicht so gut ausgesehen haben, können beim Rennen vorne dabei sein. Denn der eine oder andere hat sich beim Test in die Arbeit gestürzt, anstatt nach guten Rundenzeiten zu jagen.

ServusMotoGP: Thema Fahrer-Karussell - wer wird deiner Meinung nach den größten Sprung machen, und wer hat das Zeug zur Überraschung?

Dass die roten Ducati stark sein werden, spricht extrem für die Jungs im Werksteam von Ducati. Ich glaube, Jack Miller sticht da raus. Yamaha ist im Rennen immer ein bisschen schwächer, weil ihnen noch Dampf auf der Geraden fehlt. Das gleiche auch bei Suzuki. Ich fand überraschend gut, wie Pol Espargaro das auf der Honda gemacht hat. Er hat mit viel Hirn gearbeitet und ist da gut rangegangen. Das ist für mich das, was herausgestochen ist.

Die jungen Hungrigen, die nachrücken und wie eng alles zusammen war, ist immer überraschend. Weil es auch nicht normal ist, dass so viele verschiedene Fahrer auf so vielen verschiedenen Motorrädern von verschiedenen Werken so weit vorne sind. Das ist einfach toller Sport.

ServusMotoGP: Du hast Pol Espargaro angesprochen. Warum kommt er vergleichsweise gut mit der Honda zurecht? Gerade wenn wir uns an Jorge Lorenzo erinnern...

Das sind einfach die Konzepte. Ein Pol Espargaro hat mit der Yamaha M1 angefangen. Mit dem wahrscheinlich am leichtesten zu fahrenden MotoGP-Bike im Fahrerlager. Da war er gut. Aber er ist da nicht so herausgestochen wie ein Johann Zarco oder Jonas Folger, die mit diesem Bike unglaublich gut zurecht kamen. Pol hat das gut gemacht, war aber eher im Schatten. Er hat sich dann bei KTM mit der RC16 reingefightet. Das Motorrad ist tendenziell ein bisschen aggressiver und handlicher, will dominiert werden. Das ist etwas, was Lorenzo nicht liebt. Pol fand es schon immer gut, mit so einem Bike zu fahren. Der Schritt von der RC16 zur RC213V ist relativ gering, rein vom Konzept her. Dass sie dann Eigenheiten haben, ist klar. Der Grundflow ist ähnlich.

ServusMotoGP: Hätte Espargaro das Potenzial, vorläufig die Nummer eins im Team zu werden? Hinter Marquez ist ja aktuell noch ein großes Fragezeichen. Was kann man von Marc nach so einer langen Pause erwarten?

Ich hatte schon gehofft, dass Marc Marquez schon in Katar zurückkommt. Wenn er bei diesen Tests gemerkt hätte, dass er das Bike soweit im Griff hat, dass er im Ausnahmefall z.B. ins Rutschen kommt und sich dabei nicht verletzt, wäre er auch gefahren. Aber das ist genau das, was sie festgestellt haben. Dass wenn es zu einer Not-Situation wie einem Rutscher kommt, er sich nicht richtig festhalten kann. Dann ist es einfach wichtig zu sagen: O.k., dann muss man noch warten. Noch dazu wissend, dass Marc im Kopf nicht zu stoppen ist. Es ist für ihn hart genug, nicht 110 Prozent fahren zu können. Das war also eine Entscheidung des Verstands.

Nichtsdestotrotz glaube ich, dass wenn er zurück kommt, er sich ein bisschen reingrooven wird und dann wieder schnelle Zeiten fährt. Er ist keiner, der fünf Rennen braucht, um wieder an der Spitze mitzufahren. Es war richtig zu sagen, dass er dann zurückkommt, wenn er richtig zupacken kann. Das haben sie gelernt, dass das Risiko, so schnell zurückzukommen, sich nicht gelohnt hat.

ServusMotoGP: Wir haben viele schnelle Jungs im Feld - wie Jack Miller, neue Nummer eins bei Ducati und auch beim Test stark. Hat er das Potenzial, Ducati wieder nach vorne zu bringen?

Jack Miller hat uns Ende letzten Jahres gezeigt, dass er mit dem Vertrauen und der Vertragsunterschrift immer sicherer und konstanter wurde. In Valencia ist er toll bis zur letzten Runde um den Sieg mitgefahren. Er hat schon gezeigt, dass er das Potenzial hat, die Rolle als Nummer-eins-Pilot zu füllen. Wenn er keine Fehler macht und auch der Speed immer da ist, ist er für mich ein Fahrer, der immer unter die ersten Fünf gehört. Wenn er konstant abliefert, kann er auch um die ersten drei WM-Plätze mitkämpfen. Das würde ich ihm auch gönnen, weil er einfach ein cooler Typ ist. Der Junge macht einfach Laune.

ServusMotoGP: Fabio Quartararo hat den Sprung ins Werksteam geschafft. 2020 begann er stark, bekam dann aber Probleme. Was ist in dieser Saison bei Yamaha für ihn drin?

Bei Fabio brauchen wir nicht eine Sekunde daran zu zweifeln, dass er einer der schnellsten Rennfahrer da draußen ist. Wir erinnern uns an seine Rookie-Saison, an seine Kämpfe im letzten Jahr. Nach zwei Siegen kamen dann irgendwann der Druck und die Erwartungen. Da muss man sagen, dass er das mental nicht mehr so hinbekommen hat. Woran das auch immer lag. Am Ende des Tages glaube ich schon, dass die Antwort unter dem Helm gegeben wird.

Er hat sich einen Mental-Trainer genommen und sich über den Winter anders vorbereitet. Er weiß, was auf ihn zukommt, aber im Rennen muss er auch diese Härte haben, alles knallhart umzusetzen - auch auf mentaler Ebene. Da bin ich mir noch nicht ganz sicher, ob er das hinbekommt. Maverick Vinales ist da ähnlich, was den mentalen Zustand angeht. Auch er kann an guten Tagen unschlagbar, unglaublich schnell und präzise sein. Aber an schlechten Tagen schaut der dann ein bisschen verloren aus der Wäsche. Yamaha hat nur eine Aufgabe im Werksteam: Dass sie es mit den Fahrern, mit dem Team so hinkriegen, dass sie mental stabil und konstant durchs Jahr kommen. Dann haben sie das Potenzial, um den WM-Titel zu fahren.

„Mir und Suzuki fahren um Siege und den Titel"

ServusMotoGP: Valentino Rossi präsentierte sich gut im Test, fühlt sich nach eigenen Worten besser als 2020. Wir alle warten auf sein 200. Podium. Glaubst du, er startet mit Petronas nochmal durch?

Ich glaube ja. Im Sinne von Durchstarten ist aber immer die Frage: Was erwarten wir? Erwarten wir von Rossi, dass er jedes Wochenende um den Sieg kämpft? Ganz klares Nein von meiner Seite. Das 200. Podium oder eventuell nochmal ein Sieg? Das traue ich ihm zu. Es muss der richtige Tag, der richtige Moment sein. Ich glaube, dass der Altmeister der MotoGP durch den Wechsel zu dieser Truppe von Petronas eine gewisse Leichtigkeit zurückgewinnen wird. Deshalb glaube ich, dass er Podium Nummer 200 schaffen kann. Die ganze MotoGP-Gemeinde würde sich freuen, wenn er das hinbekommen würde.

ServusMotoGP: Suzuki mit Joan Mir ist amtierender Weltmeister. Wie schätzt du das Team 2021 ein - ist Mir der Mann, den es erneut zu schlagen gilt?

Joan Mir wird auf jeden Fall versuchen, seinen Titel zu verteidigen. Suzuki wird bereit sein. Es hat sich technisch nicht viel geändert. Ich glaube, die anderen haben kapiert, dass sie letzte Saison eine Chance liegen gelassen haben. Ich will Mir nichts wegnehmen, er ist ein Riesentalent. Er ist vielleicht nicht der Name, der so klingt wie andere. Wir alle reden vielleicht mehr über Quartararo - aber Joan Mir ist Weltmeister. Das scheint mir sehr ungerecht. Aber vielleicht ist das so, weil er so ein ruhiger Typ ist und wenig Lärm macht. Mir und Suzuki werden um Siege und den Titel fahren. Aber ich glaube, dass die anderen es ihnen nicht so leicht machen werden. Inklusive Marc Marquez, wenn er zurückkommt und mit Honda wieder voll angreifen kann.

ServusMotoGP: Vor allem viele Lehren gezogen aus 2020 hat KTM. Als vergleichsweise junges MotoGP-Team blieb KTM bei den Tests etwas hinter den Erwartungen, haben aber große Fortschritte machen können. Was sind jetzt die größten Herausforderungen der Österreicher?

Die Bestätigung dessen, was sie letztes Jahr abliefern konnten, ist erstmal die größte Herausforderung. Immerhin haben sie letztes Jahr drei Siege eingefahren. Und man kann nicht erwarten, dass das jetzt einfach so weiter geht. Das heißt, das musst du erstmal bestätigen. Bestätigst du das, ist dann der nächste Schritt, dass du ein ernsthafter Hersteller bist im Kampf um Siege - und das jedes Wochenende. KTM hat es hart getroffen mit den Tests, weil die Rennstrecke (Anm.: Losail Circuit) die schlechteste für das Bike im ganzen Kalender ist. Ich glaube, dass sie sich extrem auf die Test-Arbeit konzentriert haben und die Abstände im Rennen zum Saison-Auftakt schon kleiner sein werden. Es geht wirklich darum, die Arbeit zu bestätigen. Wenn ihnen das gelingt und dabei wieder Siege rauskommen, dann ist das schon eine Wahnsinns-Nummer.

Passion - der MotoGP-Podcast von ServusTV

Den gesamten MotoGP-Saisonausblick 2021 mit Alex Hofmann gibt's in der neuen Episode unseres MotoGP-Podcasts "Passion". Darin spricht der Experte auch darüber, was "Trainings-Weltmeister" Maverick Vinales zum Durchbruch fehlt, ob Aprilia dank starkem Lebenszeichen von Aleix Espargaro vorne mitfahren kann - und ob der Aprilia-Test von Andrea Dovizioso womöglich ein erster Schritt in Richtung Comeback 2022 ist.



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